Zoo Mania - meine 20 qm Zoo

Nach vier Jahren intensivem Fotografieren rund um den Bahnhof Zoo wird es mal Zeit den Teil vorzustellen, den ich als mein Wohnzimmer bezeichne. Natürlich sind es nicht nur 20qm - mein Bereich erstreckt sich vom Bahnhof bis zur Gedächtniskirche am Breitscheidplatz - weiter bis zum Kurfürstendamm und dem Savignyplatz und wieder zurück. Also hereinspaziert ins Gewühl - besuchen Sie mit mir die Freaks - lernen Sie etwas von der Geschichte und dem Mythos Bahnhof Zoo. Am Schluß gebe ich noch Tipps rund ums Fotografieren und mittels Karten können Sie die Strecke bequem selbst erkunden.

Blick von der Monkey-Bar auf die Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz. Dieser erlangte durch einen Terroranschlag am 19.12.2016 traurige Berühmtheit. Daneben das neu errichtete Motel One und daneben die Luxusherberge Waldorf Astoria. Im Vordergrund das Bikini-Haus mit einem außergewöhnlichen Geschäftskonzept. Rot angestrahlt ist der 'Zoo-Palast' - ein Kino.  Hinter dem Gebäude ganz rechts befindet sich der Hardenbergplatz mit Bushaltestellen und dem berühmten Bahnhof Zoo.


Endstation Zoologischer Garten

Boah, was für ein Gestank ! Es stinkt nach Pisse - Willkommen am Bahnhof Zoo. Man erkennt ihn gleich am Duft. Penner, Stricher und andere Gestalten haben ihre Duftmarken hinterlassen - gleich hinter dem Bahnhof - in der Jebensstr. 
Das Ende aller Träume liegt gleich um die Ecke - Endstation Bahnhofsmission. Nirgends wird Armut und Dreck so deutlich wie hier am Bahnhof Zoo, der eigentlich mit vollem Namen 'Zoologischer Garten' heißt. Wer hier aussteigt ist entweder Tourist, Durchreisender, Umsteiger - oder ein Obdachloser. Ja ich weiß - ist etwas kurz gefasst, aber so ist die Realität. 

In Schlafsäcken reihen sie sich auf - meistens unter der Bahnhofsbrücke. Wie ein Expeditions-Camp im Himalaya - nur das hier die unterste Stufe der Gesellschaft ihr Nachtlager aufgeschlagen hat. Es sind vor allem Polen, die sich hier häuslich niedergelassen haben. So ändern sich die Zeiten. Zu Mauer-Zeiten gab es nur deutsche Obdachlose - und auch nicht so viele. Nun ist der ehemalige Ostblock hinzugekommen.  Viele Polen torkeln umher - vollgesaugt mit Bier und Schnaps schimpfen sie in lallendem polnischen Akzent - sind oft aggressiv.  Völlig verdreckt liegen sie in ihren Schlafsäcken - meistens mitten im Weg und halten einen Becher hin - 'haste mal 'nen Euro'. Der so eingenommene Euro wird dann auch gleich in flüssige Nahrung eingetauscht - meistens beim Supermarkt 'Ullrich', der bis spät Abends offen hat und deshalb auch bei Touristen besonders beliebt ist. Er liegt genau unter der Brücke an der Hardenbergstrasse.
Daneben befindet sich die c/o-Galerie - Anlaufpunkt für Fotobegeisterte. Wie ein Schnitt mit der Rasierklinge scheint hier die Grenze zu verlaufen - zwischen Armut und dem Rest der Welt. Die Gestrandeten wissen, dass hier eine unsichtbare Grenze ist, und sind deshalb auch selten direkt vor dem c/o anzutreffen. 50m weiter sieht die Welt schon anders aus - vor allem weil es unter der Brücke dunkel ist, scheinen sich die Obdachlosen wohler zu fühlen als im Tageslicht. Das war schon immer so - typisch - denn Bahnhöfe zogen schon immer die Freaks der Gesellschaft an - egal in welcher Stadt - am Bahnhof trifft man sie immer. Drinnen werden sie vom Sicherheitspersonal weggescheucht - auch deshalb ist die Bahnhofshalle eben tabu. Klare Grenzen - unsichtbar aber doch vorhanden. Die meisten stolpern angewidert über die Obdachlosen hinweg - sie haben es eilig. Nur nicht lange stehenbleiben - schon gar nicht lange hinsehen, wenn wieder ein vollgekotzter Freak mit offenen und eitrigen Beinen im Weg liegt. Endstation Zoo.


1987

Für mich markiert das Jahr 1987 nicht nur einen geschichtlichen Zeitpunkt. 1987 wurde das 750-jährige Bestehen der Stadt Berlin gefeiert. Eben der Grund, warum ich als junger Polizist am Bahnhof Zoo für zwei Monate eingesetzt wurde. Ein Erlebnis der besonderen Art - und prägte mein weiteres Berufsleben enorm. Denn der Dienst dort ist nichts für Zartbesaitete. Vom vollgekotzten Freak bis zu den Strichern gab es das bunte Kaleidoskop dieser Stadt nur hier in geballter Form zu sehen. Und zu tun hatten wir genug. Wer hier dauerhaft Dienst versah musste entweder bekloppt, oder strafversetzt worden sein.  
Damals war der Bahnhof noch Fernbahnstation - hier hielten alle Züge. Die Wände waren in einem derart häßlichen 'Grün' gekachelt, dass man Augenkrebs bekam. Neben dem Restaurant 'Terrassen am Zoo', mit Blick auf den Hardenbergplatz, gab es noch eine Post und ein paar Geschäfte - mehr nicht. Im tristen Licht der Neonröhren getauchte Gestalten wackelten durch den Bahnhof - und sahen keinen Grund hier länger zu bleiben. Dafür war ein Bahnhof ja auch nicht gedacht. Einstiegen - Aussteigen - nur weg hier.

Hier hatte ich als Kind mein Fahrrad bei der Post aufgegeben - mit Ziel 'Langeoog'. Das war das Ferienziel in jedem Sommer zur Ferienzeit. 10 Jahre lang fuhren meine Eltern mit mir auf dieses ostfriesische Eiland. Während meine Schulkameraden vom warmen Mittelmeer schwärmten, fror ich mir in der kalten Nordsee den Pimmel ab. Geil waren nur die schönen Wellen, die turmhoch über einen hereinbrachen. Trotzdem kostete es manchmal Überwindung ins Wasser zu gehen. Ich träumte von Palmen - mitten in der Bahnhofshalle, in der ich mich mit meiner häßlich grünen Uniform doch glatt  an die häßlich grünen Wände einzureihen schien. Ich textete dann den berühmten Filmtitel 'Wir Kinder vom Bahnhof Zoo' in 'Wir Bullen vom Bahnhof Zoo' um. Nach dem Dienst gingen wir manchmal (oder öfters) in eine Kneipe namens 'Holst am Zoo' - die lag gleich in Verlängerung des Bahnhofs.

Die Kneipe 'Holst am Zoo' war im Besitz des ehemaligen Präsidenten des Berliner Fußballclubs Hertha BSC - der auch gleich der Namensgeber war. Hier traf man auch auf die alten Spieler eines Clubs, der nie aus seinem Mittelmaß herauskam. Schade. Daneben befand sich ein Blumenhändler und eine Peep-Show mit Frauen, die sich auf einem Rondell nackt rekelten - und die man für eine Mark eine Minute lang anstarren konnte. Was man dabei machte...nun den Rest spare ich mir. Der Boden von diesen Kabinen klebte - es war widerlich. Aber der Besuch einer solchen Peep-Show gehörte wohl zum 'Mann-werden' dazu. 
Die ganze Ecke wurde abgerissen. Heute entsteht dort ein Einkaufszentrum mit der Billigmarke Primark. Billig bleibt es eben - da kann kommen was will. 

 

Die 'Terrassen am Zoo' - einst ein Bahnhofsrestaurant - jetzt ist dort McDonalds untergebracht. 

Blick von den Terrassen auf den Bahnhofsvorplatz mit dem berühmten Curry36-Imbiß.

Wo einst eine Peep-Show und die Kneipe 'Holst am Zoo' war, wird demnächst die Billig-Kette Primark seine Pforten öffnen.
Billig bleibt eben billig.


Der Weg ist das Ziel - ein Rundgang

Erinnerungen ziehen mich magisch an - vielleicht habe ich deshalb den Zoo als mein Hauptziel ausgesucht. Aber sicher nicht nur deswegen - sondern auch, um eine feste Fotoecke zu haben, und weil es von meinem Zuhause aus am schnellsten zu erreichen ist. Praktisch denken - Särge schenken ;-)
Von meinem Haus nördlich vom Flughafen Tegel bis zum Bahnhof Zoo benötige ich 30 Minuten - mit meinem Motorroller.
Den stelle ich dann hinter dem kleinen Verkaufsstand 'Reisewelt' ab. Hier verweile ich dann einen Moment - lasse die Szene und die vorbeieilenden Menschen auf mich wirken. 


Anhand der beigefügten Karte habe ich mal einen Vorschlag für einen Fotowalk. Natürlich muss man ihn nicht befolgen - hilft aber etwas bei der Orientierung. Die blauen Pfeile zeigen noch eine alternative Strecke, die bis zum Luxus-Kaufhaus 'KaDeWe' führt. Start und Ziel ist der Hardenbergplatz vor dem Bahnhof Zoo. Holt euch bei dem Verkaufsstand eine Erfrischung (keine Angst - ich bekomme keine Rabatte dort) - und auf geht's. 

Vom Hardenbergplatz gehen wir Richtung Gedächtniskirche. Rechts liegt das Luxushotel Waldorf-Astoria - links das Kino 'Zoo Palast'. Wir laufen auf das Bikini-Haus zu und wenden uns rechts auf den Breitscheidplatz mit dem Mahnmal der Opfer des Terroranschlags vom 19.12.2016. An diesem traurigen Abend raste der Attentäter Anis Amri mit einem zuvor geraubten Lkw auf den Platz und tötete 12 Menschen, die den Weihnachtsmarkt besuchten. Auch der Lkw-Fahrer wurde von ihm ermordet.

An diesem Tage wollte ich mich mit meinem Foto-Buddy Hans Severin dort treffen. Wir haben dann  eine andere Location ausgesucht. Der Zufall wollte es, dass wir an diesem Abend woanders waren. Hier das Interview, welches Hans mit mir an diesem Tage führte:
INTERVIEW


Hardenbergplatz mit Blick auf den Bahnhof Zoo in Richtung Hardenbergstrasse. Übrigens hat der Schauspieler Tom Hanks die Curry36-Bude zu seinem Lieblingsimbiß erklärt. Mehr Werbung geht nicht - und so bilden sich jeden Tag lange Schlangen davor.


Der Zoo Palast wurde von 2011 bis 2013 umgebaut. Das Kino verfügt über 1700 Plätze - Highlight ist der Saal 1 mit seiner großen Leinwand - Filme in 3-D sind hier ein echter Genuss. Mein letzter Besuch war Silvester 2017 - mit meiner Frau habe ich mir den letzten 'Krieg der Sterne'-Film reingezogen.
Rechts daneben ist das neu errichtete Bikini-Haus mit Restaurants und außergewöhnlichen Geschäften. Ein Blick rein lohnt sich - zumal man von drinnen auf das Affenhaus des Zoos blicken kann.


Wir gehen über den Breitscheidplatz links an der Kirche vorbei. Die Kirche wurde im 2. Weltkrieg zerstört und dient als Mahnmal.
Im Vordergrund das Gotteshaus, wo heute die Gottesdienste stattfinden.  Das Foto entstand vom neu errichteten MotelOne.

Ein Blick auf das Ensemble Gedächtniskirche - MotelOne - Waldorf-Astoria.

Pissoir am Breitscheidplatz - mit Blickrichtung Kantstr. - die Sonne ging gerade unter und zauberte diese Silhouette.


Wir umrunden die Gedächtniskirche - wer mag, der kann noch weiter Richtung Wittenbergplatz laufen und einen Blick ins Kaufhaus KaDeWe (Kaufhaus des Westens) werfen. Sehr zu empfehlen ist die Lebensmittelabteilung - mit kulinarischen Genüssen aus aller Welt.
Nachdem wir die Kirche umrundet haben laufen wir auf der Tauentzienstrasse Richtung Kurfürstendamm - dem Boulevard der Luxusmarken. Wir passieren die Kreuzung Kurfürstendamm/Joachimstaler Str. - früher auch 'Spielwiese' genannt. Hier trafen sich 1968 die Revoluzzer, um gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren - deshalb auch der Name 'Spielwiese'.
An der Ecke das ehemalige Cafè Kranzler - gegenüber befindet sich eine alte Verkehrskanzel, in dem früher ein Polizist saß und mit Handschaltung die Ampeln stellte. 


Wir laufen weiter den Kurfürstendamm entlang - mit einem Blick in den Innenbereich hinter dem Cafè Kranzler. Dort befinden sich ein Hotel und diverse Restaurants. Auch das Wahrzeichen Berlins - der Berliner Bär - ist dort zu bewundern und dient oft als Fotoobjekt.


Wir verlassen den Hof und gehen weiter auf dem Kurfürstendamm - vorbei am Apple-Store bis zur Grolmannstr.  Wer mag kann auch nur bis zur Fasanenstrasse laufen. Links in der Fasanenstr. befindet sich der Leica-Store - und wenn man in die Fasanenstr. am Hotel Kempinski reingeht, sieht man rechts das Jüdische Gemeindezentrum. Man geht dann geradeaus bis zur Kantstrasse weiter und biegt rechts in die Kantstrasse ab - oder läuft links bis zum Savignyplatz.
Wir folgen der Grolmannstr. bis zum Savignyplatz. Ein herrliches Fleckchen Grün inmitten der City. Mit Bars, Restaurants und einem Buchladen. Hier biegen wir rechts in die Kantstrasse und gehen bis zur Galerie 'Camera-Works'. Der Eintritt ist kostenlos und man kann dort großformatige Fotos von namhaften Fotografen entdecken. Wer allerdings ein Foto kaufen will, der muss das nötige Kleingeld mitbringen - manche Fotos kosten bis 20.000.-€ und mehr.


Von der Galerie laufen wir weiter in Richtung Zoo und gehen kurz vor erreichen der Brücke nach links in eine Gasse. Diese Gasse führt uns Richtung Norden zur C/O-Galerie. Hier kann man insbesondere zu bestimmten Zeiten mit den Kontrasten spielen - vorausgesetzt die Sonne scheint. 

Zum Schluss kann man noch in die Galerie c/o Berlin gehen - man muss allerdings Eintritt zahlen. Daneben befindet sich auch ein Cafè und drinnen gibt es auch eine Buchhandlung mit allerlei Fotobüchern. Die bessere (Aus-)Wahl in Sachen Fotobücher bietet allerdings die Buchhandlung in der Daueraustellung von Helmut Newton in der Jebensstr.
Die Jebensstr. befindet sich gegenüber dem c/o Berlin. Man geht bis fast zum Ende - auf der linken Seite befindet sich das Museum für Fotografie mit der Helmut Newton-Ausstellung. Im Erdgeschoss ist eine Buchhandlung mit reichhaltiger Auswahl an Fotobüchern. Gegenüber dem Gebäude liegt die Bahnhofsmission. Dort lernte ich den Leiter Dieter Puhl kennen. Ihm gefielen meine Obdachlosen-Porträts - und so lernte ich ihn persönlich kennen und schätze seine Arbeit. 
Wer nun nicht genug hat, der besucht den Zoo - er ist der artenreichste Zoo der Welt und hat eine neue Attraktion - zwei Pandas. Michael Jackson besuchte ihn regelmäßig - zumindest wenn er in Berlin ein Konzert gab. 
Die Tour ist nun zu Ende - ich hoffe, dass ich euch mein Wohnzimmer mal näher bringen konnte. Natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Auf der Tour kann man bequem beides verbinden - Sightseeing gekoppelt mit der Strassenfotografie. 

Und wer den Weg nach Berlin gefunden hat, der meldet sich einfach bei mir - ich zeige gerne mein Wohnzimmer ;-)

Euer
Chris Candid